Großes Interesse an KI-Debatte „Der heiße Stuhl“

150 Teilnehmer lockte die Diskussionsrunde zum Thema “Zwischen Begeisterung und Besorgnis – KI und die Zukunft der Industrie” zur Tech Transfer Stage auf der Hannover Messe.

Braucht die deutsche Industrie dringend künstliche Intelligenz oder ist der Mittelstand damit überfordert? Um solche und ähnlich provokante Fragen ging es beim IIP-Ecosphere-Event „Der heiße Stuhl“, das am 19. April 2023 auf der Hannover Messe zur Diskussion mit den rund 150 Zuschauern anregen sollte. Etliche weitere Interessierte nahmen online teil.

Auf dem „heißen Stuhl“ nahmen drei hochkarätige Wirtschaftsvertreter Platz. Sie befeuerten die Debatte mit bewusst zugespitzt formulierten Thesen: Dr. Alexander Broos, Leiter Forschung und Technik beim Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken e.V. (VDW), vertrat die Position, dass KI vor allem vom Mittelstand im Kleinen überschätzt und im Großen unterschätzt wird. Außerdem als Thesengeber dabei: Dr. Darko Sucic, Senior Director bei Dassault Systèmes Deutschland GmbH,  („KI schafft Facharbeiter und Ingenieure ab“) und Andrej Nikonov, Managing Director bei Cloudflight GmbH („KI macht die deutsche Industrie abhängig“). Reinhard Karger, Unternehmenssprecher des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), leitete die Runde und band das Publikum in die Diskussion ein.

Was sich zunächst pessimistisch anhörte, nahm im Verlauf der Diskussion eine andere Wendung. Für den Mittelstand sei KI auf dem Shopfloor momentan noch nicht unbedingt wirtschaftlich, sagte Broos. Aber die kleineren Unternehmen seien ja nicht deshalb so erfolgreich, weil sie als Einzelkämpfer agieren, sondern weil ihre Technologien im Netzwerk mit Lieferanten, Partnern und Kunden entstehen. Neue Player werden diesem Netzwerk beitreten und KI in die Unternehmen bringen. Anregungen können sich Unternehmen etwa bei den Best Practices von IIP-Ecosphere holen. Sucic verwies auf viele Startups und KI-Berater, die den Mittelstand unterstützen.

Und auch die Abschaffung von Facharbeitern und Ingenieuren könne vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ein Vorteil für die Unternehmen und die Mitarbieter sein, die dank KI vor lästigen oder einfachen Aufgaben befreit werden. Gut ausgebildete Menschen kümmerten sich dann um die wirklich kniffeligen Fragen, so Sucic. Auch Nikonov gab leichte Entwarnung: die Abhängigkeit von der sehr speziellen Hard- und Software, von Daten, KI-Fachkräften, Infrastruktur, unabsehbaren Regelungen und Gesetzen ist ein Risiko, das sich minimieren läßt, etwa durch Inhouse-Lösungen oder den modularen Aufbau von KI-Algorithmen. Laut Nikonov sollten Unternehmen darauf achten, sich möglichst nicht in die Abhängigkeit eines einzigen Anbieters zu begeben.

Die Diskutanten waren sich einig, dass KI viele zeitintensive und lästige Tätigkeiten, wie das Erfüllen von Regularien oder Dokumentationspflichten, übernehmen könnte, um Fachkräfte zu entlasten. Für einen solchen Einsatz von KI bedürfe es jedoch einer gezielten Aus- und Fortbildung der Fachkräfte. Zusätzlich könne nicht auf das „Human in the Loop“-Prinzip verzichtet werden, bei dem der Mensch das Ergebnis der KI überprüft.

Laut Broos fehlt es vielen Unternehmen an einer Atempause, um über den Einsatz von KI und Digitalisierung weitergehend nachzudenken. Trotzdem riet er Unternehmen, Wünsche und Anforderungen an KI-Technologien noch stärker in Richtung Gesetzgeber verlauten zu lassen ─ zum Beispiel über Interessenvertreter. Nikonov erklärte, dass ein europaweites Zentrum für die Handhabung von KI wünschenswert wäre, über das sich Unternehmen stärker in die Festlegung von Regularien einbringen könnten. Nur so könne man Einigungen über KI schaffen, die für alle Beteiligten hilfreich und anwendbar sind. Generell sahen Broos und Sucic einen Vorteil in der europäischen und deutschen Herangehensweise an KI: Neben dem strengeren Augenmerk auf Datenschutz und Persönlichkeitsrechte finde im Vergleich zu anderen Ländern die Forschung an KI-Technologien weitestgehend im universitären Bereich statt. Dies könnte laut Sucic eine gewisse Kontrolle und Vertrauenswürdigkeit der KI-Technologien sicherstellen und Interessenkonflikte durch unternehmensgesteuerte Anwendungen potenziell verhindern.

In Hinblick auf das gerade viel diskutierte ChatGPT und die mögliche Verabschiedung des europäischen  AI Acts war zum Ende der Veranstaltung klar: KI bietet der Industrie großes Potential, es bedarf jedoch noch Arbeit von vielen Seiten, um einen sicheren und einfachen Einsatz zu ermöglichen.

Registrierte Nutzer können sich die Aufzeichnung der gesamten Veranstaltung auf Deutsch und Englisch auf der Webseite der HANNOVER MESSE ansehen: https://www.hannovermesse.de/veranstaltung/-der-hei-e-stuhl-zwischen-begeisterung-und-besorgnis-ki-und-die-zukunft-der-industrie/pan/104824#

 

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